Wale und Delfine in der Strasse von Gibraltar
Besuch bei der Schweizer Stiftung firmm in Tarifa, Spanien
Riesige Frachtschiffe passieren mit hoher Geschwindigkeit das Nadelöhr zwischen Europa und Afrika, etwa alle zehn Minuten aus jeder Richtung. Eine Verkehrsdichte, welche in den Weltmeeren seinesgleichen sucht. Ausgerechnet hier sollen so viele Arten von Walen und Delfinen leben?
Malaga: Das Flugzeug setzt auf der Landepiste auf. Wir fahren nach Westen gen Cádiz. Nach knapp zwei Stunden erreichen wir die Windräder: Tarifa, die Stadt des Windes, liegt vor uns. Sie schmiegt sich um die Landzunge mit dem vorgelagerten Inselchen. Hinter der tiefblauen Strasse von Gibraltar erhebt sich der Mosesberg aus dem Dunst. Nur 14 Kilometer sind es von hier bis nach Afrika.
Das Hauptbüro der Stiftung firmm liegt mitten in der Altstadt. An der Theke begrüsst uns herzlich Katharina Heyer und übergibt uns den Schlüssel für ein kleines Appartement. Dann klingelt auch schon wieder ihr Telefon. Aha, Französisch! Scheint, als ob es bald wieder Neuigkeiten über das geplante Dolphin Resort in Marokko geben wird.
Enge Gässchen schlängeln sich durch die verwinkelte Altstadt Tarifas, vorbei an kleinen bunten Läden mit allerlei Dingen. Restaurantküchen verströmen Gerüche, die Gelüste nach allerlei spanischen Köstlichkeiten wecken. Zahlreiche Bars versprechen ein reges Nachtleben. Marokkanische Einflüsse auf die Architektur prägen das Stadtbild.
Am südlichsten Punkt Europas stehen zwei Strände zur Auswahl: links das Mittelmeer, rechts der Atlantik. Auf der kleinen vorgelagerten Insel befindet sich eine militärische Befestigungsanlage aus dem letzten Weltkrieg, die heute als Auffanglager für marokkanische Flüchtlinge verwendet wird. Rund um die Insel darf getaucht werden. Es gibt einige Wracks auf einer Maximaltiefe von 32 Metern. Die Tauchbasis Buceo Scorpora liegt im Hafen gleich neben dem Hafenbüro von firmm.
Der 10 Kilometer lange Atlantikstrand lädt zum barfuss spazieren ein. Es ist Ende April und das Wasser noch zu kalt zum Baden. Der Strand wird aber schon von Kite-Surfern in Beschlag genommen. Aus ganz Europa kommen sie hierher. Der Wind bläst über den Sand und verpasst einem ein Gratis-Peeling.
Montagmorgen: Die erste Ausfahrt. Der orange Sonnenball hängt über dem Mittelmeer. Ein leichter Poniente bläst aus Richtung Atlantik. Es ist frisch. Die firmm Spirit brettert über die Wellen. Gischt schlägt gegen die Fenster. Einige Passagiere hangeln sich klitschnass vom Bug nach hinten ins Trockene. Jörn Selling, der Meeresbiologe, steht oben auf dem Ausguck und beobachtet konzentriert die Schaumkronen auf dem Meer. Ob er vielleicht heute den Blas eines Finnwals sichtet? Diese Tiere pendeln zwischen Mittelmeer und Atlantik und benötigen für die Passage nur eine Stunde.
Das Boot bremst ab. Die Hälse der Passagiere recken sich. Blicke schweifen suchend übers Wasser. Sind hier schon Wale? Nein. Von links her kommt mit hohem Tempo ein riesiger Containerfrachter. Wie bunte LegoKlötzchen wirken die gestapelten Frachtcontainer, doch jeder ist so gross wie ein Lastwagen. Ein imposanter Anblick. Ich richte mein Tele auf die Bugwelle. Schade, auf der reiten keine Delfine. Die Fahrt geht weiter.
Da, eine Flosse ragt aus dem Wasser! Ist es ein Delfin, Grindwal oder gar ein Hai? Sie bleibt an Ort und Stelle und pendelt nur hin und her. Beim Näherkommen erscheint durch die Wasseroberfläche ein eigenartiger Fisch mit einem diskusförmigen Körper. Es ist ein grosser Mola Mola (Mondfisch).
Durchs Mikrophon ertönt Jörns Stimme: «Pottwal auf zwei Uhr». In einigen hundert Metern Entfernung ist die Fluke eines abtauchenden Pottwals zu erkennen. Er bringt sich vor einem herannahenden Frachter in Sicherheit. Der Pottwal hat sich an der Oberfläche ausgeruht und Sauerstoff für den nächsten Tauchgang getankt, der über eine Stunde dauern und mehr als 2000 Meter tief sein kann. Dort jagen sie nach riesigen Tintenfischen. Wie sie das genau tun, ist noch unbekannt.
Immer wieder hört man leider von Walen, welche beim Ausruhen an der Oberfläche von der Bugnase eines Frachtschiffes aufgespiesst wurden. Die Besatzung merkt davon meist nichts. Der Kadaver wird oft erst im Hafen entdeckt. Viele Vorfälle werden erst gar nicht gemeldet. Ein Tempolimit von 13 Knoten, welches 2007 vom spanischen Umweltministerium aufgrund der Arbeit von firmm beschlossen wurde, soll den Tieren Zeit zum Ausweichen geben. Leider ist dies nur eine Empfehlung und kein Gesetz. Es hält sich kaum einer daran und gebüsst wird auch nicht. Zeit ist Geld.
In einiger Entfernung entdeckt Jörn eine Gruppe Grindwale und gibt dem Steuermann Richtungsangaben. In den zwölf Jahren, in denen firmm hier Forschung und Whale Watching betreibt, hat sie herausgefunden, wann und wo sich die Grindwale aufhalten. Die Erfolgsquote für Sichtungen bei Ausfahrten beträgt 98 Prozent. Das Boot fährt längsseits zum Kurs der Tiere und hält etwas Abstand, um sie nicht zu stören. Jörn versucht die Grindwale zu zählen, hält die Position mit GPS fest und notiert Kurs und Verhalten der Tiere. Anhand der Rückenfinne und markanten Einkerbungen lassen sich einzelne Tiere identifizieren. Nach wenigen Minuten lösen sich einige Grindwale aus der Gruppe und steuern auf das Boot zu. Der Steuermann kuppelt vorsorglich den Motor aus. Die Grindwale durchpflügen die Wellen mit ihren schwarz glänzenden, runden Köpfen. Man hört das Prusten und Schnauben, wenn sie Luft holen.
Da ist eine Grindwal-Mutter, welche ihr Neugeborenes begleitet. Noch ganz klein, grau und verschrumpelt hopst es unbeholfen aus dem Wasser, um nach Luft zu schnappen. Es weicht seiner Mama nicht von der Seite. Sie scheint das Boot zu kennen und zu wissen, dass hier keine Gefahr droht, sonst würde sie nicht mit ihrem Jungen so nahe herankommen. Man wird das Gefühl nicht los, sie würde wie jede junge Mutter, stolz ihr Baby zeigen wollen.
In einem ruhigen Moment auf dem Boot hört man sogar die Grindwale unter Wasser quietschen. Ein jüngeres Tier stellt sich senkrecht und schaut mit dem Kopf aus dem Wasser, um sich die seltsamen, rosa Nacktaffen genauer anzusehen. Wir sind für sie offenbar genauso interessant, wie sie für uns. Ein anderer Grindwal rollt sich auf den Rücken und zeigt uns seinen hellen Bauch. Ob dieses Verhalten auch Vertrauen bedeutet, wie wir es von Hunden und Katzen kennen?
In der Gruppe befindet sich ein verletzter Grindwal. Eine grosse Wunde klafft an der Rückenfinne. Vermutlich ist dies das Werk eines Sportfischers. Diese werfen oft ihre Leinen mit Haken aus und fahren dann mitten durch eine Gruppe Grindwale, im Irrglauben, dass sich unter denen grosse Fische befänden, auf die sie Jagd machen würden. Dabei reisst oft so ein Haken ein Stück aus der Rückenfinne eines Grindwals.
Zu schnell ist leider die Zeit vorüber und wir fahren zurück nach Tarifa, wo am Pier schon die Nächsten auf die Ankunft des Bootes wartet: Eine Gruppe Meeresbiologie-Studenten der Universität Basel, begleitet von Prof. David Senn, Mitbegründer von firmm.
Über Nacht hat sich der Poniente gelegt und es ist windstill. Das ist selten hier. Heute führt uns Katharina zu den Grindwalen, doch die scheinen sich nicht für uns zu interessieren und nutzen die ruhige See, um sich auszuruhen. Aus der Ferne sehen sie ein bisschen aus wie ein Haufen schwarzer Autopneus, die auf dem Wasser treiben. Wir lassen sie in Ruhe und fahren weiter.
Die Tümmler sind nicht weit, stossen zu uns und beginnen mit der Show: Ein paar schwimmen unter dem Bug mit. Die Kinder haben einen Heidenspass, die Tiere so nahe zu sehen. Sie drängeln sich dicht an dicht vorne am Bug. Durch das spiegelglatte, klare Wasser scheint alles wie in einem Aquarium. Die Tümmler drehen sich immer wieder zur Seite, um uns in die Augen schauen zu können. Einer schwimmt etwas voraus, winkt mit seiner Fluke und klatscht aufs Wasser, um uns nass zu spritzen. Ein zweiter tut es ihm nach. Ein trächtiges Weibchen schwimmt auf der Seite, dreht sich auf den Rücken und zeigt uns immer wieder ihren dicken Bauch. Andere Tümmler sieht man durch das ruhige Wasser Anlauf zu einem Sprung holen. Einer klatscht absichtlich mit der Seite auf die Wasseroberfläche und spritzt die Passagiere an Deck vollkommen nass.
So und ähnlich spielt sich fast jede der zwei täglichen Ausfahrten in der Woche ab. Einmal kreuzt auf dem Rückweg eine gemischte Gruppe gestreifter und gemeiner Delfine unseren Weg und begleitet uns ein Stück. Meist halten die sich eher in der Nähe der Bucht von Algeciras auf. Diese Delfinarten sind kleiner und ungemein schneller und wendiger als ihre grösseren Verwandten, die Tümmler. Sie springen mal links, mal rechts, mal hinten, mal vorne aus dem Wasser, so schnell, dass man kaum mit Schauen nachkommt.
Am letzten Tag bläst der Levante so stark, dass sich nicht einmal die Fischer aufs Meer wagen. Als Ersatzprogramm hat sich Prof. David Senn spontan bereit erklärt, einen interessanten Vortrag über sein Spezialgebiet, die Planktonforschung, zu halten. Er berichtet auch über seine Erlebnisse, wie sie 2006/07 mit dem Solarboot Sun 21 den Atlantik überquerten.
Eine aufregende Woche mit einer reichen Ausbeute an Fotos neigt sich schon wieder dem Ende zu. Schon zum fünften mal bin ich hier, aber immer noch nicht zum Tauchen gekommen. Das nächste Mal aber bestimmt.
Stiftung firmm
Die Stiftung firmm (Foundation for Information and Research on Marine Mammals) wurde 1998 von Katharina Heyer ins Leben gerufen und hat ihren Sitz in der Schweiz, Tarifa (Spanien) und Tanger (Marokko). Sie setzt sich für die Informierung, Forschung und den Schutz der Meeressäuger in der Strasse von Gibraltar ein.
In der Meerenge sind das ganze Jahr hindurch folgende Arten anzutreffen: gemeine Delfine, gestreifte Delfine, grosse Tümmler und Grindwale. Von April bis Juni kommen auch Pottwale zu Besuch und im Juli/August sogar Orcas. Mit etwas Glück begegnet man auch Finnwalen, wie sie zwischen Atlantik und Mittelmeer hin- und herpendeln.
firmm bietet von April bis Oktober in Tarifa Walbeobachtungskurse an. Diese beinhalten von Montag bis Freitag täglich eine bis zwei Bootsfahrten von zwei Stunden Dauer, begleitet von einem Meeresbiologen. Kindergerechte Vorträge informieren über Meeressäuger und das maritime Leben in der Strasse von Gibraltar. Auch einzelne Ausfahrten werden angeboten. Sollten aufgrund des Wetters Ausfahrten nicht möglich sein, gibt es interessante Ausflüge mit dem Meeresbiologen als Alternative.
Auf der anderen Seite der Strasse von Gibraltar, in Marokko, ist das «Dolphin Resort Ras Laflouka» am Entstehen. Dort werden in einer abgesperrten Bucht Delfine aus Gefangenschaft aufgenommen. Verletzte wilde Tiere können in einem Rescue Center gesund gepflegt werden. Für Touristen wird es ein Hotel und Restaurant geben. In einem kleinen Teil der Bucht wird man mit den Tieren schwimmen und tauchen dürfen. Den Tieren wird dabei ihr freier Wille gelassen, ob sie mit den Menschen interagieren wollen oder nicht. Vom Resort aus werden auch Ausfahrten aufs Meer unternommen.
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