Der Europäische Aal
Der wohl rätselhafteste aller einheimischen Fische
Er stammt von den Bermudas, ist aber kein Neozoon. Er war schon hier, lange bevor es Menschen gab. Er kann im Süsswasser, im Salzwasser und sogar an Land überleben. Er verändert im Laufe seiner langen Lebenszeit mehrmals seine Gestalt. Wie er sich fortpflanzt, wusste lange Zeit niemand.
Aussehen
Der Europäische Aal (Anguilla anguilla) ist durch seinen langgestreckten, schlangenähnlichen Körper unverwechselbar. Die Rücken-, Schwanz- und Afterflosse sind zu einem durchgängigen Flossensaum zusammengewachsen. Die dicke, schleimige Haut ist mit winzigen runden Schuppen bedeckt. Er besitzt ein oberständiges Maul, d. h. der Oberkiefer ist etwas kürzer als der Unterkiefer. Die Körperoberseite variiert von schwarzer, brauner bis dunkelgrüner Färbung. Die Farbe der Unterseite ist bei jungen Aalen gelblich (Gelbaal) und bei ausgewachsenen Tieren weiss (Blankaal). Der Geruchssinn ist besonders gut ausgeprägt. Mittels röhrenartig verlängerten Nasenlöchern ist das Tier in der Lage, Geruchsspuren in geringsten Konzentrationen in allen drei Dimensionen wahrzunehmen und ihnen zu folgen.
Erwachsene Weibchen können in seltenen Fällen eine Länge von bis zu 150 Zentimeter und ein Gewicht von 6 Kilogramm erreichen. Die kleineren Männchen werden nur 60 Zentimeter lang.
Vorkommen
Der Europäische Aal ist in ganz Europa, Kleinasien und Nordafrika beheimatet. In der Schweiz begegnet man ihnen als Taucher am häufigsten bei Nachttauchgängen im Rhein und in den rheinnahen Gewässern wie Aare und Bodensee. Aber auch in den grossen Seen wie Vierwaldstättersee, Zugersee und Zürichsee sind sie gelegentlich anzutreffen. Da ein Vordringen der Aale flussaufwärts häufig durch Flusskraftwerke erschwert oder gar verunmöglicht wird, werden sie seltener, je weiter man sich vom Rhein entfernt. In den Schweizer Flüssen, welche ins Mittelmeer münden (Rhône, Doubs, Ticino) sind Aale sehr selten anzutreffen.
Lebensweise
Aale sind nachtaktive Tiere. Tagsüber verstecken sie sich gerne unter Wurzeln, Steinen, in Felsspalten oder selbst gegrabenen Löchern im Sedimentboden und kommen erst in der Dämmerung hervor. Sie ernähren sich von Würmern, Krebsen, Insektenlarven, Laich und kleinen Fischen. Sie sind keine Aasfresser, wie man früher glaubte. Aale kommen in zwei Ernährungsvarianten vor, welche genetisch identisch sind: Der Spitzkopfaal ernährt sich vorwiegend von Krebsen und anderen Wirbellosen. Der Breitkopfaal ist ein Fischjäger. Beide Formen kommen nebeneinander im gleichen Gewässer vor, wobei der prozentuale Anteil durch das Nahrungsangebot bestimmt wird.
Fortpflanzung
Lange Zeit war nicht bekannt, wie sich Aale vermehren, denn es wurden nie laichende Tiere, Laich oder Larven gefunden. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann sich das Geheimnis langsam zu lüften.
Die Tiere erreichen ihre Geschlechtsreife mit 4 bis 20 Jahren, abhängig vom Breitengrad, vom Ökosystem, von Umweltbedingungen und von den Fettreserven, die sie sich anfressen konnten. Letztere können etwa 30 Prozent der Körpermasse ausmachen. Männchen werden früher geschlechtsreif als Weibchen. In den Monaten Oktober, November, bei mildem Wetter auch noch im Dezember werden die Aale immer unruhiger, und es zieht sie flussabwärts. Vor allem in den Abend- und Nachtstunden sind sie unterwegs. Je schlechter das Wetter, je stärker der Regen, desto grösser scheint die Reiselust. Anfangs ziehen sie noch sehr aktiv, schlängeln sich aus kleineren Rinnsalen in den nächst grösseren Bach oder Fluss. Aale sind sogar in der Lage, aus abgeschlossenen Gewässern beachtliche Strecken an Land, bevorzugt durch nasses Gras, zurückzulegen. Den dazu notwendigen Sauerstoff können sie über die Haut aufnehmen. In den grösseren Flüssen lassen sie sich S-förmig gekrümmt, energiesparend, hauptsächlich im Mittelwasser von der Strömung treiben.
Kurz vor und während dieser Wanderung verändern sich die Körpermerkmale der Aale, um sich den Begebenheiten im Meer besser anzupassen. Die Farbe wechselt von grün-braun zu silbrig-grau, die Augen vergrössern sich und der After zieht sich ein – der Aal wird zum Blankaal. Dieser Umwandlungsprozess dauert etwa vier Wochen. Die Nahrungsaufnahme wird zunehmend eingeschränkt und schliesslich ganz eingestellt. Der Verdauungsapparat bildet sich komplett zurück und schafft Platz für die Geschlechtsorgane, welche später dann die gesamte Leibeshöhle einnehmen. Die Energie für diesen Umbau und die bevorstehende Reise entnehmen die Aale ihren über die Jahre angefressenen Fettreserven.
Sobald die Aale die Meeresmündung erreicht haben, schwimmen sie wieder aktiv und gehen auf Tiefe. Tagsüber schwimmen sie in kühlerem Wasser in Tiefen von 200 bis zu 1000 Metern. Nachts steigen sie in die wärmeren Oberflächenschichten empor. So überwinden sie im Laufe eines Jahres die rund 5000 Kilometer über den Atlantik, teils auch gegen die Strömung.
Das Ziel dieser Aalwanderung ist die Sargassosee, ein Meeresgebiet östlich von Florida und südlich der Bermudas, in welchem die Meeresströmungen des Atlantiks einen Strudel bilden. Man vermutet, dass sich die Aale dort in Tiefen von bis zu 2000 Metern paaren und ablaichen. Beobachtet wurde dies noch nie. Dieser Akt raubt den Aalen auch noch die letzten Energiereserven, so dass sie kurz darauf sterben.
Einigen Quellen zufolge können Aale in der Natur bis zu 50 Jahre alt werden, in Gefangenschaft gar über 80. Die meisten werden aber kaum älter als 10 bis 20 Jahre.
Die äusserlich ähnlich aussehenden Amerikanischen Aale (Anguilla rostrata) paaren und laichen im gleichen Gebiet, doch es wurde genetisch bewiesen, dass sich die beiden Arten nicht miteinander vermischen. Ein Grund hierfür könnten unterschiedliche Ankunftszeiten sein, denn die Europäischen Aale müssen einen viel längeren Weg zurücklegen.
Die neue Generation
Die Larven der frisch geschlüpften Aale sind etwa 10 Millimeter gross, flach und durchsichtig, zeigen äusserlich kaum Ähnlichkeiten mit den erwachsenen Tieren und wurden früher als eigenständische Art (Weidenblattlarve oder Leptocephalus) angesehen. Das Larvenstadium dauert etwa drei Jahre. In dieser Zeit wandern sie von der Sargassosee wieder zurück über den Atlantik, wobei sie auch aktiv schwimmen und sich nicht nur von der Strömung treiben lassen.
Wenn die Larven in den europäischen Küstengewässern ankommen, wandeln sie sich zu den ca. 7 Zentimeter langen Glasaalen. Im Frühjahr wandern sie in grossen Schwärmen die Flussläufe bis in die Heimatgewässer ihrer Eltern hinauf. In dieser Zeit werden sie Steigaale, wegen der gelblichen Färbung des Bauches auch Gelbaale genannt. Dort angekommen wachsen sie die nächsten Jahre bis zur vollen Grösse heran.
Spekulation
Warum die Europäischen Aale die beschwerliche Reise quer über den Atlantik bis in die Sargassosee auf sich nehmen, ist nicht bekannt. Vielleicht entstand dieses Verhalten zu einer Zeit, in der Europa und Nordamerika aufgrund der Kontinentaldrift noch näher beieinanderlagen. Die frühesten fossilen Aale stammen aus den oberen Schichten der Kreidezeit. Jede neue Aalgeneration musste dann einen wenige Zentimeter längeren Weg zurücklegen. Warum die Aale ausgerechnet in die Sargassosee wandern ist unbekannt.
Der Fortpflanzungszyklus mit Wanderung ins Meer bietet vielleicht einen Vorteil durch eine höhere Anzahl sich paarender Individuen und dadurch höhere genetische Vielfalt, welche die Population stärken könnte. Auch andere Aalarten wie z. B. der Amerikanische Aal (Anguilla rostrata) und der Japanische Aal (Anguilla japonica) legen für die Fortpflanzung weite Strecken in den heimischen Gewässern und im Meer zurück.
Gefährdung
Die IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) listet den Europäischen Aal bereits als vom Aussterben bedroht auf. Gründe hierfür sind:
- Intensiver Fischfang: An den europäischen Küsten wird in grossen Mengen Glasaal gefangen, vielerorts als begehrte Delikatesse gehandelt und nach Asien exportiert. Auch erwachsene Aale werden besonders in Deutschland gerne verspeist.
- Krankheiten: Ein aus dem asiatischen Raum eingeschleppter Parasit, der Schwimmblasenwurm (Anguillicola crassus), schädigt die Schwimmblase, welche der Aal später für die Wanderung im Meer benötigt. Etwa die Hälfte aller Tiere ist befallen.
- Stauwehre und Kraftwerke: Flussaufwärts müssen Aale vielerorts Hindernisse überwinden, teils sogar Mauern hochklettern wo Fischtreppen fehlen. Flussabwärts folgen sie jedoch vorwiegend der Strömung, gelangen so wegen ihres geringen Querschnitts durch die Auffangrechen und werden wegen ihrer Länge von den Turbinen zerstückelt. Zwischen Bodensee und Basel befinden sich allein schon elf Kraftwerke. In jedem sterben je nach Turbinentyp etwa 16 bis 86 Prozent der flussabwärts wandernden Aale.
- Uferverbauungen: In hart verbauten Ufern ohne Nischen und Spalten finden Aale zuwenig Unterschlupfmöglichkeiten, die sie vor allem tagsüber benötigen.
- Umweltverschmutzung: Viele Giftstoffe sind fettlöslich und lagern sich in den Fettreserven der Aale ein. Beim Umbau des Körpers gelangen diese Giftstoffe in die sich bildenden Geschlechtsorgane und können das Tier unfruchtbar machen.
Es werden zwar junge Aale an den Flussmündungen eingefangen, grossgezogen und in hoher Zahl in den oberen Flussläufen wieder ausgesetzt, doch solche Aktionen sind nur Symptombekämpfung. Sie führen sogar durch eine Überpopulation zur Reduktion der restlichen Fischfauna. Seit 1986 werden zumindest in der Schweiz offiziell keine Aale mehr ausgesetzt. Solange die beschriebenen Probleme weiter bestehen, wird kaum ein Aal aus dem Hochrhein und der Schweiz die Sargassosee je lebend erreichen, um sich fortpflanzen zu können. Man schätzt, dass es in 20 bis 30 Jahren die Spezies des Europäischen Aals nicht mehr geben wird.
Mit der letzten Änderung der Gewässerschutzverordnung 2011 wurde die Sanierung der Fischwanderung bis 2030 beschlossen und alle Hochrheinkraftwerke als sanierungsbedürftig eingestuft. Eine Abwanderhilfe für Aale ist bisher nur beim KW Schaffhausen vorhanden. Auch in der EU sind Bestrebungen im Gange. Hoffen wir, dass die Schutzmassnahmen auch wirksam umgesetzt werden und es noch nicht zu spät ist.
Wenn Sie also beim nächsten Nachttauchgang im Rhein oder gar in anderen Gewässern weiter flussaufwärts einem Aal begegnen, dürfen Sie sich glücklich schätzen. Es könnte einer der letzten seiner Art sein.
Quellen
- W. Dönni, K.-J. Maier, H. Vincentini: «Bestandesaufnahme des Aals (Anguilla anguilla) im Hochrhein», Mitteilungen zur Fischerei Nr. 69, Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL), 2001, bafu.admin.ch
- Aale – Wanderer zwischen Flüssen und Meeren, wissen.de
- The IUCN Red List of Threatened Species, Anguilla anguilla, iucnredlist.org
- WWF Artenlexikon: Europäischer Flussaal, 3.1.2014, wwf.de
- Wikipedia: Europäischer Aal, 3.1.2014, http://de.wikipedia.org/wiki/Anguilla_anguilla
- Sabine Schütze, Stephan Braig: «Europäischer Flussaal», SWR, 3.8.2012, swr.de
- Henkel CV, Burgerhout E, de Wijze DL, Dirks RP, Minegishi Y, Jansen HJ, Spaink HP, Dufour S, Weltzien FA, Tsukamoto K, & van den Thillart GE (2012). Primitive Duplicate Hox Clusters in the European Eel’s Genome. PloS one, 7 (2) PMID: 22384188, plosone.org
- Johnsen Lab, Duke University, Durham NC, USA, biology.duke.edu
- Mie Prefecture Fisheries Research Institute, mpstpc.pref.mie.lg.jp
- Focus Online: «20 Prozent der Weser-Aale sterben durch Wasserkraftanlagen», 7.1.2014, focus.de