Tarierwesten

Taucherausrüstung, Teil 5

In tr 164 (Juni 2016) wurde bereits ausführlich auf die physikalischen Eigenschaften von Tarierung und Trimmung eingegangen. In diesem Artikel werden die verschiedenen Arten und Eigenschaften von Tarierwesten vorgestellt.

Fenzy Rettungsweste
Die Fenzy Rettungsweste, mit der alles anfing. Hier das Modell M4 von 1970. Quelle: plongeesanssel.com

Früher, als nur athletische, wagemutige Kerle mit riesigen Lungen sich Taucher nennen durften, waren Tarierwesten noch unbekannt. Im warmen Meer wurde in Badehose getaucht und tariert mit der Lunge. Mit Neopren-Anzug wurde die notwendige Menge Blei anhand der geplanten Tiefe geschätzt. Darüber behalf man sich mit Steinen, darunter wurde gestrampelt, um nicht abzusacken. Deko- und Sicherheitsstopps gab es nicht. Die in den 1970er Jahren aufkommenden Westen (Klodeckel) waren ursprünglich als Rettungshilfen gedacht, da sie durch ihre Kragenform einen bewusstlosen Taucher an der Oberfläche stabilisierten. Man merkte, dass diese auch zum Tarieren verwendet werden konnten, wenn auch das Auftriebsverhalten unter Wasser suboptimal war. Teilweise befüllt liegt der Auftrieb hinter dem Nacken, voll befüllt auf der Brust. Zusammen mit dem Bleigurt resultiert daraus ein Drehmoment, welches den Taucher aufrichtet.

Dieser Nachteil führte zur Weiterentwicklung heutiger Tarierwesten, auch Jacket, BCD (Buoyancy Control Device) oder kurz BC (Cuoyancy Compensator) genannt, bei welchen Auftriebs- und Gewichtssystem idealerweise nahe beieinander liegen. Diese sind eine wichtige Sicherheitsausrüstung und vom Gerätetauchen nicht mehr wegzudenken. Ein modernes BCD muss folgende Aufgaben erfüllen können:

ADV Jackets
ADV Jackets, von links nach rechts: Scubapro Glide, Mares Dragon SLS, Aqualung Perl. Quelle: div. Hersteller

ADV (Adjustable Diving Vest)

Das ADV ist bei Sporttauchern das wohl am meisten verbreitete Jacket. Die Auftriebskörper liegen hier vor allem seitlich am Bauch und unterhalb der Arme. Der Vorteil dieser Anordnung ist, dass an der Oberfläche eine aufrechte Haltung einfach möglich ist. Auch lassen sich diese Jackets dank verstellbaren Verschlüssen leicht an- und ausziehen, sowie schnell anpassen, weshalb sie bei Tauchbasen für Schulung und Leihmaterial beliebt sind. Die meisten ADV-Jackets haben heutzutage Integrierte Bleitachen mit Schnellabwurf-Mechanismus, Fächer für Trimmblei, seitliche Taschen für Ersatzmaske und Dekoboje, sowie D-Ringe. Manche besitzen auch ein Fach für den Oktopus, dessen Schlauch mit einer Schlaufe dort reingeschoben werden kann, statt dass er rumbaumelt. Einige Hersteller (Aqualung, Mares) bieten nebst dem klassischen Faltenschlauch auch integrierte Tariersysteme an. Nachteilig ist, dass die Bewegungsfreiheit vorne und seitlich unter den Armen etwas eingeschränkt ist. ADV-Jackets gibt es in der Regel nur für Mono-Flaschen.

Stab Jacket
Stab Jacket: Scubapro Master. Quelle: scubapro.com

Stab(ilizing) Jacket

Diese Jackets besitzen eine um die Schultern herum umlaufende Auftriebsblase, so dass sich die Luft immer am höchsten Punkt sammeln kann. Das Auftriebsvolumen ist in der Regel grösser als bei den ADV Jacktes. Sie gelten als ohnmachtssicher, d. h. ein bewusstloser Taucher kann wie bei einer Rettungsweste mit dem Gesicht nach oben an der Wasseroberfläche gehalten werden. Durch die innenliegende Bebänderung sind sie etwas mühsamer zum an- und ausziehen.

Wings
Verschiedene Wings von links nach rechts: Xdeep Ghost (2.3 kg leichtes Reisewing), Aqualung Dimension i3 (nicht DIR-konformes, dafür bequem und mit i3 Tariersystem), Apeks Twinset. Quelle: div. Hersteller

Wing

Das Wing-System ist das vielseitigste BCD und deshalb bei fortgeschrittenen und technischen Tauchern am weitesten verbreitet. Von den meisten Herstellern ist ein komplettes Set wie auch jede Komponente einzeln verfügbar, so dass sich ein Wing individuell an die Bedürfnisse des Benutzers zusammenstellen lässt. Wesentlichstes Unterscheidungsmerkmal ist die auf dem Rücken um die Flasche(n) anliegende Auftriebsblase. Diese Anordnung ermöglicht grössere Volumen und es bleiben Oberkörper, Bauch und Hüften frei, was das Mitführen von zusätzlicher Ausrüstung wie Stage-Flaschen erleichtert. Zudem wird der Taucher unter Wasser fast automatisch in die ideale, horizontale Schwimmlage gedrückt. An der Wasseroberfläche hingegen kann sich das nachteilig auswirken, da das Gesicht nach vorne gedrückt wird, wenn das Wing zu stark aufgeblasen wird. Mittels Körperhaltung kann das aber kompensiert werden.

Als Basis dient die Backplate (Rückenplatte), welche aus Stahl, Alu, Carbon oder flexiblem Kunststoff gefertigt und mit Schlitzen und Bohrungen versehen ist. Bei Stahl sind verschiedene Dicken verfügbar, denn es wird als Gewichtssystem mitgerechnet und reduziert so die notwendige Menge Blei. Die leichten Backplates aus Carbon, Alu oder Kunststoff sind meist für Monoflaschen konzipiert und geeignet für Reisen mit Fluggepäck.

An der Backplate wird der Harness befestigt, welcher üblicherweise aus einem 50 mm Nylon-Gurtband besteht, das durch die Schlitze gefädelt wird. Nach DIR-Standard sind Schulterriemen und Beckengurt ein einziges durchgehendes Band, welches am Bauch mit einer Schnalle miteinander verbunden wird (V-Harness). Ein zwischen den Beinen durchgeführter Schrittgurt verhindert ein Hochrutschen. Eine andere Variante ist der H-Harness, bei welchem die Schulterriemen am Beckengurt befestigt werden. Optionale Schulter- und Rückenpolster erhöhen den Tragekomfort und optionale Schnallen an den Schulterriemen erlauben ein schnelles Verstellen, sowie ein einfacheres an- und ausziehen. Alternativ kann auch eim Komfort-Harness verwendet werden.

Wing Kombinationen
Vielseitigkeit des Wing-Systems. Verschiedene Harnesse, Backplates, Gewichtssysteme, Blasen und Flaschen oder Rebreather lassen sich fast beliebig miteinander kombinieren. Quelle: div. Hersteller

Zwischen Backplate und Flaschen kommt das eigentliche Wing zu liegen, welches in Form und Grösse den Flaschen angepasst sein soll. Wings für Monoflaschen sind schmaler als Wings für Doppelflaschen und für Rebreather noch breiter. Die Blase ist üblicherweise zweischalig und besteht aus Cordura. Es gibt auch Wings mit zwei getrennten Blasen, so dass auch mit Nassanzug Auftriebs-Redundanz gewährleistet ist. Bei Wings unterscheidet man zwei Bauformen: Donut und Hufeisen. Das Donut-Wing ist ein durchgehender ringförmiger Schlauch, so dass die Luft oben und unten auf beide Seiten wandern kann. Das Hufeisen-Wing ist unten geschlossen. Der Vorteil davon ist, dass das Luftpolster links und rechts unterschiedlich verlagert werden kann, um so Schlagseite z. B. aufgrund von Stage-Flaschen besser ausgleichen zu können. Der Nachteil ist, dass in einer Kopfüber-Situation das Entlüften der Blase schwierig ist.

Die Montage von Doppelflaschen erfolgt am besten mit zwei starren Rohrschellen aus Edelstahl, welche mit der Backplate fest verschraubt werden. Von Doppelflaschen-Gurten ist abzuraten, da diese flexibel sind, sich die Flaschen verkanten und so das Brückenventil beschädigen können. Monoflaschen werden mittels Adapter und meist zwei Gurtbändern an der Backplate befestigt.

Für die Aufnahme von Blei gibt es viele Möglichkeiten. Ein P-Weight wird in den Falz der Backplate montiert und bringt den Schwerpunkt nahe zum Körper. Ein V-Weight wird an passender Stelle zwischen den Doppelflaschen montiert, um so den optimalen Trimm zu erreichen. Für Reise-Wings gibt es Bleitaschen, welche am Hüftgurt fixiert werden und einen Abwurf oder versehentlichen Verlust ermöglichen. Einige Hersteller bieten Backplates mit zusätzlichen Schlitzen an, an welchen Bleigewichte mit Bändern oder Taschen befestigt werden können.

Ein Wing lässt sich mit wenigen Schritten von Backmount auf Sidemount umbauen. Die Blase wird zwischen zwei Backplates montiert, so dass die Begurtung an der äusseren befestigt ist und die Blase gegen den Körper gedrückt wird. Dies wird Sandwich oder Toddy System genannt.

ADV/Wing Hybrid Jackets
ADV/Wing Hybrid Jackets mit erweiterter Blase am Rücken. Von links nach rechts: TUSA Conquest II, Oceanic Atmos, Mares Hybrid AT (mit Airtrim System). Quelle: div. Hersteller

Hybrid ADV/Wing

Dieser BCD-Typ vereint die beiden Eigenschaften von ADV und Wing. Es trägt sich wie ein ADV-Jacket, bietet aber ähnlich einem Wing zusätzlichen Auftrieb im Rückenbereich, was die Lage unter Wasser verbessert.

Sidemount Wing

Sidemount Wings
Sidemount Wings: Razor 2 Wing/Harness, Xdeep Stealth 2.0 Tec, Hollis SMS 75 (Sidemount/Backmount Hybrid). Quelle: div. Hersteller

Wie der Name schon sagt, ist dieser BCD-Typ speziell für das Tragen von Flaschen an der Körperseite statt auf dem Rücken ausgelegt. Der Auftriebsbereich der Blase liegt mehr in der Lendengegend. Der Faltenschlauch wird meist unter den Achseln zur Brust geführt und fixiert. Da Sidemount-Wings primär fürs Höhlentauchen konzipiert wurden, sind sie beweglich, liegen eng am Körper an und bieten am Rücken kaum Angriffspunkte, so dass man sich durch Engstellen zwängen kann. Als Nebeneffekt dessen, ist so auch der Strömungswiderstand auf ein Minimum reduziert, was sich positiv aufs Schwimmen auswirkt.

Hybrid Sidemount-Wings lassen sich sowohl für Sidemount wie auch für Backmount verwenden.

Auftrieb/Volumen

In den Datenblättern der Hersteller wird der Auftrieb eines BCD oft korrekterweise in Newton (1 N ≙ 0.102 kg) angegeben, doch Pfund (1 lbs ≈ 0.454 kg) oder Liter (1 l ≙ 1 kg) sind umgangssprachlich eher gebräuchlich. Je nach Hersteller, Modell und Grösse variieren die Volumina von 10 bis 27 Liter.

Der Auftrieb eines BCD muss mindestens so gross sein, dass es im aufgelasenen Zustand sämtliche Ausrüstung (volle Flaschen, Blei, Backplate, etc.) im Wasser zu tragen vermag. Der Auftrieb des Anzugs darf nicht mitgerechnet werden. Neopren verliert in der Tiefe durch Kompression den Auftrieb und ein Trockenanzug kann geflutet werden. Die Herstellerangaben sind eher grosszügig angegeben, da sich ein BCD oft nicht voll aufblasen lässt. Entweder es drückt dann unangenehm am Körper oder ist zwischen Backplate und Flaschen eingeklemmt.

Ein Sporttaucher im tropischem Gewässer mit dünnem Anzug oder Shorty und einer 80 cuft Aluflasche benötigt ein wesentlich geringeres Auftriebsvolumen im BCD, als ein technischer Taucher im kalten Wasser mit Trockenanzug, Doppel-12 aus Stahl, mehreren Stage-Flaschen und Scooter.

Faltenschlauch oder Tariersystem?

Der klassische Faltenschlauch zum be- und entlüften der Tarierblase mittels Power-Inflator oder Mund bewährte sich schon seit den Klodeckel-Westen aus den 1970er Jahren.

Westen mit integriertem Tariersystem gibt es schon seit einigen Jahren auf dem Markt. Eine auf der Seite angebrachte Einheit bedient die Ein- und Auslassventile. Bei Aqualung/Seaquest i3 werden diese mechanisch durch einen Hebel und Federzug betätigt. Bei Mares Airtrim geschieht dies pneumatisch mit zwei Knöpfen.

Der Vorteil eines solchen Tariersystems ist, dass sich die Bedienelemente immer an derselben Stelle befinden und in jeder Körperlage die Luft aus dem Jacket gelassen werden kann. Es gibt kein Faltenschlauch, der irgendwie herum baumelt und sich verheddert, was besonders beim Fotografieren mit grosser Kamera und Blitzarmen störend sein kann. Allerdings kann ein Faltenschlauch auch mit einem Bungee am Harness fixiert werden. Etwas Nachteilig ist die Verwendung mit einem Trockenanzug. Mit dem klassischen Faltenschlauch kann durch Heben des Armes beides gleichzeitig entlüftet werden. Mit dem Tariersystem nur abwechslungsweise.

Schnellablass

Ein oder mehrere Schnellablässe findet sich bei den meisten ADV-Jackets sowohl im Schulter- wie auch im Lendenbereich, teils auch im Faltenschlauch integriert, so dass in fast jeder Situation schnell Luft abgelassen werden kann, wenn man unkontrolliert in die Höhe steigt. Bei den meisten Wings hingegen, befindet sich der Schnellablass nur in der Lendengegend, mit dem Hintergedanken, dass beim Versagen dessen zumindest noch in aufrechter Position Auftrieb hergestellt werden kann.

Kauftipps

Ein einziges BCD, welche für alle Einsatzgebiete (Kaltwasser, Warmwasser, Höhle) und Arten zu Tauchen (Monoflasche, Doppelflasche, Sidemount, Backmount, Multi-Stage, Rebreather) geeignet ist, gibt es nicht, bzw. man muss überall gewisse Abstriche machen. Wichtig ist, dass es für die eigene Körpergrösse und den Anzug gut passt. Ein zu grosses Jacket bietet keinen guten Halt für die Flasche, ein zu kleines zuwenig Auftrieb.

Ein Urlaubstaucher, der nur in tropischen Gewässern unterwegs ist, für den ist ein leichtes Reisejacket geeignet. Anfänger tendieren eher zu ADV, da sie dieses schon aus dem Unterricht kennen, Fortgeschrittene eher zu Wing wegen der besseren Wasserlage und Vielseitigkeit. Wer im heimischen Kaltwasser mit Doppelgerät und Stages tauchen will, für den ist ein Wing mit Backplate die richtige Wahl - ob ein Comfort- oder DIR-Harness ist Sache des Geschmacks, der Philosophie und der eigenen Gelenkigkeit.

Wie bei allem Tauchequipment, sollte Qualität und Wartbarkeit kaufentscheidend sein und nicht der Preis. Lieber ein gutes gebrauchtes oder älteres Modell aus einem Tauchgeschäft des Vertrauens, das man erst probetauchen darf, als das Billigste aus irgendeinem Webshop.